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Algorithmische Topologie

Lektion 5. JSJ-Zerlegung.

5.1. 3-Mannigfaltigkeiten mit Randmuster.

Eine 3-Mannigfaltigkeit mit Randmuster ist eine 3-Mannigfaltigkeit $M$ mit einem Graphen $\Gamma \subset \partial M$. Jede 3-Mannigfaltigkeit kann als eine 3-Mannigfaltigkeit mit leerem Randmuster betrachtet werden. Sei $(M, \Gamma)$ eine 3-Mannigfaltigkeit mit dem Randmuster $\Gamma$. Eine Fläche $F\subset M$ heißt proper, wenn $F\cap \partial M= \partial F$ und die Kurve $\partial F$ in allgemeiner Lage ist, d.h sie geht nicht durch die Eckpunkte von $\Gamma$ und schneidet die Kanten transversal. Wir sagen, daß eine Untermenge $X\subset M$ rein ist, wenn $X\cap \Gamma=\emptyset$. Eine Isotopie $F_t :X\to M$ ist rein, wenn $f_t(X)$ für jedes $t$ rein ist.

Sei ${\cal T}$ die Menge aller inkompressiblen Tori in $M$, und sei ${\cal K}$ die Menge aller reinen inkompressiblen, randinkompressiblen Kreisringe in $M$.

Definition. Eine reine Fläche $F\in {\cal T} \cup {\cal K}$ heißt grob, wenn jede andere Fläche $G \in {\cal T} \cup {\cal K}$ zu einer mit $F$ disjunkten Fläche $G'$ rein isotop ist.

Ein endliches System $\{ F_1, \ldots ,F_n\} $ von disjunkten Flächen aus $ {\cal T} \cap {\cal K}$ heißt maximal, wenn das folgende gilt:

  1. Die Flächen sind grob;
  2. Sie sind paarweise nicht parallel;
  3. Jede andere grobe Fläche $G \in {\cal T} \cup {\cal K}$, die zu den Flächen $F_i$ disjunkt ist, ist zu einer Fläche $F_i$ parallel.

Satz 5.1. Jede irreduzible randirreduzible 3-Mannigfaltigkeit $M$ mit Randmuster $\Gamma$ enthält ein maximales System von disjunkten groben Tori und Kreisringen. Das maximale System ist eindeutig bestimmt (modulo reiner Isotopie).

Beweis. Die Existenz eines maximalen Systems folgt aus dem ersten Endlichkeitssatz. Wir fangen mit einer groben Fläche $F_1\subset M$ an. Dann fügen wir neue disjunkte nicht-parallele grobe Flächen hinzu, solange es möglich ist. Nach dem Endlichkeitssatz ist dieser Prozeß  endlich.

Eindeutigkeit. Seien $(F_1, \ldots ,F_n)$ und $(G_1, \ldots ,G_n)$ zwei maximale Systeme. Rücken wir $G_1$ von allen Flächen $F_i$ ab. Da das System $(F_1, \ldots ,F_n)$ maximal ist, ist $G_1$ parallel zu einer Fläche $F_i$. Und so weiter.

5.2. Elementare Bewegungen.

Es scheint, daß der Beweis beendet ist, aber es geht nicht so leicht. Warum kann man $G_1$ gleichzeitig von allen Flächen abschieben? (Man kann sich an die Borromäischen Ringe erinnern). Um dieses Problem zu lösen, führen wir elementare Bewegungen ein. Seien $F, G$ zwei Flächen aus $ {\cal T} \cup {\cal K}$.

1. Scheibenverschiebung. Nehmen wir an, daß $F\cap G$ eine geschlossene Kurve $C$ enthält, die eine Scheibe $D$ auf $G$ berandet. Wir können annehmen, daß $D$ eine innerste Scheibe ist, d.h. sie keine weitere Kurven enthält. Da $F$ inkompressibel ist, berandet $C$ auf $F$ auch eine Scheibe $D_1$. $M$ ist irreduzibel, deher berandet die Sphäre $D\cap D_1$ einen Ball $X$. Wir schieben $D$ durch $X$ auf die andere Seite von $F$, siehe Fig. 1.

2. Halbscheibenverschiebung. Dasselbe, aber $D$ ist eine äußerste Halbscheibe.

Bewegungen 1,2 lassen uns alle triviale Kreise und Bögen beseitigen. Um nicht-triviale Kreise zu eliminieren, brauchen wir zwei weitere Bewegungen.

3. Innere Kreisringsverschiebung. Nehmen wir an, daß $F\cap G$ keine triviale Kreise und Bögen enthält. Sei $G_1$ ein Kreisringsflicken von $G$, so daß $G_1$ zu einem Kreisring $F_1\subset F$ parallel ist. Wir schieben $G_1$ auf die andere Seite von $F$ durch den Vollring $X$, der von $F_1$ und $G_1$ berandet ist.

4. Externe Kreisringsverschiebung. Dasselbe, aber $G_1$ hat eine Randkomponente auf $\partial M$.

Nicht-triviale Bögen in $F\cap G$ werden durch die letzte Bewegung beseitigt.

5. Bandverschiebung. Nehmen wir ein, daß $G$ einen Bandflicken $G_1$ besitzt (ein Bandflicken ist ein Scheibenflicken, der zwei Bögen auf $F$ und zwei Bögen auf $\partial M$ hat). Die Verschiebung besteht aus einer Isotopie, die $G_1$ durch $F$ hindurch deformiert.

Figure: Fünf elementare trennende Bewegungen
\begin{figure}\centering\unitlength=0.12pt
\begin{picture}(2750,2000)
\put(0,2000){\special{em:graph elmovsf.pcx}}
\end{picture} %%\label{elmovsf}
\end{figure}

Satz 6.2. Seien $F, G$ zwei Flächen aus $ {\cal T} \cup {\cal K}$, so daß $G$ zu einer disjunkten Fläche isotop ist. Dann existiert eine Folge von Bewegungen 1-5, die $G$ disjunkt zu $F$ macht.

Beweis. SCHRITT 1. Nehmen wir an, daß es eine Fläche $F'$ gibt, die zu $G$ disjunkt und zu $F$ parallel ist. Dann ist der Raum $W$ zwischen $F$ und $F'$ zu $F\times I$ homöomorph. Wir können annehmen, daß alle mögliche Bewegungen 1,2 schon gemacht sind. Dann sind alle Flicken von $G$ entweder Kreisringe oder Bänder. Jeder Kreisring in $W$, der beide Randkurven auf $F$ hat, ist parallel zu einem entprechenden Kreisring auf $F$. Deshalb sind wir imstande, Bewegung 3 auszufüren. Eine ähnliche Prozedur ist möglich, wenn wir einen Kreisring mit nur einer Randkurve auf $F$ haben oder ein Band: man kann Bewegung 4 oder 5 anwenden. Da jede Bewegung die Anzahl der Schnittkurven in $F\cap G$ vermindert, bekommen wir schließlich disjunkte Flächen.

SCHRITT 2. Nehmen wir an, daß es eine Fläche $F'$ gibt, die zu $F$ parallel ist und von der $G$ durch Bewegungen 1-5 getrennt werden kann. Die Spur $X$ jeder Bewegung, die einen Flicken $G_1$ von $G$ durch $F'$ schiebt, ist entweder ein Ball oder ein Vollring. Wir verwenden $X$ anstatt $W$ oben, um vorher $G_1$ von $F$ durch ähnliche Bewegungen zu befreien (siehe Fig. 2) und vollenden erst danach unsere Bewegung.

Figure: Jede elementare Bewegung von $G_1$ durch $F'$ ist eine Kombination etlichen elementaren Bewegungen von $G$ durch $F$ und elementaren Bewegungen von $G_1$ durch $F'$, die weit von $F$ sind.
\begin{figure}\centering\unitlength=0.12pt
\begin{picture}(2750,900)
\put(0,900){\special{em:graph beweg.pcx}}
\end{picture} %%\label{elmovsf}
\end{figure}

SCHRITT 3. Seien $F, F'$ isotope Flächen. Dann gibt es eine Folge $F_0, \ldots, F_n$ von Flächen, so daß $F'=F_0, F=F_n$ und für jedes $i, 0\leq i< n$, $F_i$ parallel zu $F_{i+1}$ ist.

Sei $h_t :F\to M, t\in I,$ eine Isotopie, die $F$ nach $F'$ überführt. Wir zerlegen $I$ in so kleine Strecken $I_k= \{t : \varepsilon _k\leq t \leq \varepsilon _{k+1}\}, 0\leq k < m-1 $, daß für $t\in I_k$ die Fläche $h_t(F)$ sich im Innern einer regulären Umgebung $N\approx F\times I$ von $h_{\epsilon_k}(F)$ befindet. Bezeichnen wir $h_{\varepsilon_k}(F)$ durch $F_{2k}$ und eine Randkomponente von $N$ durch $F_{2k+1}$. Dann sind sowohl die Flächen $F_{2k}, F_{2k+1}$ parallel für jedes $k$, als auch die Flächen $F_{2k+1}, F_{2k+2}$. Siehe Fig. 3. Die gewünschten Flächen sind $F_i, 0\leq i\leq 2m=n$.

Figure: Hin und her Schwanken
\begin{figure}\centering\unitlength=0.12pt
\begin{picture}(2850,850)
\put(0,850){\special{em:graph isof.pcx}}
\end{picture} %%\label{elmovsf}
\end{figure}

Die Schritte 1-3 lassen uns einen offensichtlichen Induktionsbeweis für Satz 5.2 vorschlagen, da jede elementare Bewegung von $F$ durch $G$ keine anderen Flächen berührt, die zu $F, G$ disjunkt sind.

5.3. Drei Typen von JSJ-Kammern.

Die Tori und Kreisringe des maximalen JSJ-Systems für $M$ zerlegen $M$ in Teile, die JSJ-Kammern genannt werden. Jede Kammer hat ein Randmuster, das aus dem vererbten Randmuster von $M$ und den Rändern von Kreisringen des Systems besteht. So ist jede Kammer $Q_i$ eine 3-Mannigfaltigkeit mit Randmuster. Es stellt sich heraus, daß genau drei Type von Kammern existieren können.

Wir sagen, daß ein Kreisring $A\subset \partial Q_i$ halbrein ist, wenn $A\cap \Gamma$ aus einigen Kopien des Mittelkreises besteht. Ein inkompressibler Kreisring $A\subset Q_i$ ist wesentlich, wenn er nicht zu einem halbreinen Kreisring auf $\partial Q_i$ parallel ist. Ein wesentlicher Torus in $Q_i$ ist inkompressibel und nicht parallel zu einem reinen Torus in $\partial Q_i$.

Hier sind die drei Typen:

  1. Einfache 3-Mannigfaltigkeiten, die keine wesentlichen Tori und Kreisringe zulassen. Solche 3-Mannigfaltigkeiten sind angenehm, da genau Tori und Kreisringe Eulersche Charakteristik 0 haben und darum dem zweiten Endlichkeitssatz im Wege stehen. Es bleibt nur, mit unwesentlichen Tori und Kreisringen fertig zu werden. Aber diese können keine wesentliche Schererei verursachen, da sie unwesentlich sind.
  2. Seifertsche 3-Mannigfaltigkeiten, die aus Kreisen (Fasern) bestehen. Die Kreise müssen gut aneinander anliegen und lokal ein Standardbild darstellen, ähnlich zu den Strecken $\{ \ast \}\times I$ in $D^2\times I$. Das Randmuster jeder Seifertschen Kammer besteht aus Fasern.

  3. $I$-Bündel, die durch Strecken gefasert sind. Der Rand von jedem $I$-Bündel besteht aus zwei Teilen: aus der Basisfläche und aus der Seitenfläche. Die Basisfläche ist eine Vereinigung von Endpunkten der Strecken, die Seitenfläche besteht aus den Kreisringen, die aus den Randfasern zusammengestellt sind. Das Randmuster von dem $I$-Bündel besteht aus parallelen Kopien der Mittelkreise, so daß jeder Seitenkreisring mindestens einen Musterkreis enthält.

Ein wesentlicher Kreisring $A\in {\cal K}$ in $Q_i$ heißt longitudinal (oder randgrob), wenn der Rand jedes anderen Kreisrings $A_1\in
{\cal K}$ von $\partial A$ durch eine Isotopie abgeschoben werden kann. Alle andere wesentliche Kreisringe heißen transversal.

Bemerkung. Seien $A,A_1$ Kreisringe, so daß $A$ longitudinal ist und $A_1\subset {\cal K}$. Nach der Eliminierung aller trivialen Kreise und Bögen in $A\cap A_1$ bekommen wir zwei Kreisringe, die sich nur längs der Mittelkreise schneiden. Falls $A$ transversal ist, gibt dieselbe Prozedur radiale Strecken in dem Durchschnitt. Das erklärt die gewählte Terminologie.

Satz 5.3. Wenn $Q_i$ einen wesentlichen Torus oder einen longitudinalen Kreisring $F$ enthält, dann ist $Q_i$ eine Seifertsche 3-Mannigfaltigkeit. Enthält $Q_i$ einen transversalen Kreisring $F$, dann ist sie ein $I$-Bündel.

Beweis. Da $F$ nicht grob ist, gibt es einen Torus bzw. Kreisring $G$, der $F$ nur längs nicht-trivialer Kreise oder Bögen schneidet. Dann besitzt $F\cup G$ eine natürliche Faserung in Kreise bzw. in Strecken. Es folgt, daß eine reguläre Umgebung $U\supset F\cup G$ eine ähnliche Faserung hat. Betrachten wir den inneren Rand $\partial _{int} U = \partial U\cap $Int $Q_i$ von $U$. Er besteht aus Tori und Kreisringen. Wir erweitern $U$ zu einer größeren gefaserten 3-Mannigfaltigkeit $U_1$, indem wir alle kompressiblen inneren Randkomponenten von $U$ mit Vollkreisen $D^2\times I$ bzw. Zylinder $D^2\times I$ füllen, und auch die randparallelen Komponenten von $U$ durch entsprechende Teile von $\partial Q_i$ ersetzen. Der innere Rand von $U_1$ besteht nur aus inkompressiblen Tori und Kreisringen, die nicht grob sind. Das bedeutet, daß die Prozedur fortgesetzt werden kann. Nach dem ersten Endlichkeitssatz von Kneser und Haken ist die Prozedur endlich, und letzten Endes bekommen wir $Q_i$.

Folgerung. Jede irreduzible randirreduzible 3-Mannigfaltigkeit enthält nur eine endliche Anzahl von wesentlichen Tori und longitudinalen Kreisringen (modulo Isotopien $(Q_i,\Gamma_i)\rightarrow (Q_i,\Gamma_i)$).

Beweis. Offensichtlich, da jede JSJ-Kammer diese Eigenschaft besitzt, dank der einfachen topologischen Structur der Seifertschen Faserräume und $I$-Bündel.

Figure: $U$ läßt sich so zu $Q_i$ erweitern, daß die Faserungsstruktur bleibt. Die Sterne zeigen die Außenteile, die von kompressiblen oder randparallelen Komponenten berandet sind
\begin{figure}\centering\unitlength=0.12pt
\begin{picture}(2700,1500)
\put(0,1500){\special{em:graph erweif.pcx}}
\end{picture} %%\label{elmovsf}
\end{figure}




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